Zum 125. Geburtstag des weltbekannten Konzilienforschers

Hubert Jedin – der Papst der Kirchenhistoriker

Veröffentlicht am 17.06.2025 um 00:01 Uhr – Von Alexander Brüggemann (KNA) – Lesedauer: 

Bonn ‐ Er verfasste wirklich dicke Bücher. Doch das Buch seines Lebens ist selbst ziemlich kräftig ausgefallen. In der Geschichte des Kirchenhistorikers und Konzilienforschers Hubert Jedin spiegelt sich die Geschichte eines deutschen Jahrhunderts.

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Es gibt Lebensläufe, die ihr Jahrhundert besser widerspiegeln als dicke Historienromane: Ein schlesischer Priester aus kleinen Verhältnissen, aber mit glänzenden akademischen Perspektiven, muss vor den Nationalsozialisten flüchten. Es folgen eine turbulente Odyssee vor dem KZ und Jahre materieller Unsicherheit in Rom – und dann, mit fast 50 Jahren, die zweite Chance: Professor in Bonn, weltbekannter Konzilshistoriker, Vorbild für eine ganze Forschergeneration. Am 17. Juni 1900, vor 125 Jahren, wurde Hubert Jedin geboren, der "Papst der Kirchenhistoriker".

Jedin wächst im bäuerlichen Milieu des deutschen Ostens auf, im oberschlesischen Dorf Großbriesen, als zehntes Kind der Familie. Für den Vater, Lehrer in der Zwergschule des Ortes, ist Bildung der Schlüssel für sozialen Aufstieg. Und so sparen die Eltern an allem, um den drei Söhnen das Studium zu ermöglichen.

Hubert Jedin zahlt diesen Vorschuss zurück – mit einem Musterstart als Priester und Theologe. Nach der Promotion 1925 stellt ihn sein Heimatbischof, der Breslauer Kardinal Bertram, für weitere Forschungen in Rom frei. Hier, im Zentrum des Katholizismus, kniet Jedin bei seinem ersten Besuch im Petersdom neben einem schwarzen Priester nieder. Diese erste Erfahrung von Weltkirche hat ihn nie mehr losgelassen.

Trienter Konzil als Lebensthema

In Rom trifft er auch auf sein Lebensthema: die Geschichte des Konzils von Trient – jener großen Kirchenversammlung der Gegenreformation (1545-1563), die dem Katholizismus über Jahrhunderte ihr Gepräge gab und bis heute noch gibt. 1930 habilitiert sich Jedin mit einer voluminösen Biografie über den Konzilspräsidenten und Augustinergeneral Girolamo Seripando und kehrt als Privatdozent an seine Heimat-Uni Breslau zurück. Sein großes Ziel ist zum Greifen nah: die Professur.

Zweifellos hätte ihn schon bald ein Ruf auf einen Lehrstuhl erreicht – wenn nicht der bis dahin unpolitische, am ehesten noch deutschnational gesinnte Forscher ein Opfer der Politik geworden wäre. Die Nationalsozialisten entziehen Jedin, dem Sohn einer konvertierten Jüdin, die Lehrerlaubnis und treiben ihn erneut nach Rom, ins Exil. Hier ist er nun allerdings nicht mehr der "kommende Mann", sondern ein tief gedemütigter Flüchtling. Die Karriere scheint dahin.

Bild: ©picture-alliance/akg-images

Das Tridentinische Konzil dauerte von 1545 bis 1563. Der Kupferstich von Claudy aus dem Jahr 1565 zeigt eine Sitzung der Kirchenversammlung in der Kathedrale von Trient.

Zwar kehrt er 1936 nochmals für drei Jahre nach Breslau zurück, um dort eine untergeordnete Stellung im dortigen Diözesanarchiv zu bekleiden. Doch "der deutsche Boden", an dem er nach wie vor hängt, wird für ihn immer heißer: Am Tag nach der Reichspogromnacht 1938 verhaftet ihn die Gestapo aus dem Archiv heraus zur Verschleppung nach Buchenwald. Doch wird er – wohl in der Annahme, die Verhaftung eines katholischen Priesters müsse ein Irrtum sein – wieder freigelassen. Unter turbulenten Umständen setzt er sich im November 1939 erneut nach Rom ab, um dort eine umfassende Geschichte des Trienter Konzils in Angriff zu nehmen.

Der Ausschluss vom akademischen Betrieb erweist sich für die Wissenschaft letztlich als großer Gewinn. In den folgenden zehn Jahren kann er sich, finanziell zwar klamm, ganz der Erforschung seiner Quellen widmen: Tausender lateinischer und französischer, italienischer und deutscher, englischer und spanischer Briefe, Berichte, Akten – alle Sprachen der Konzilsteilnehmer werden zu seinen Sprachen.

Die Arbeit in mehr als hundert Archiven und Bibliotheken und die Bandbreite der Problemfelder zeigen die Größe seiner Aufgabe. 1949 kann er mit dem ersten von vier Bänden der "Geschichte des Konzils von Trient" die Früchte dieser wohl unwiederholbaren Forscherleistung ernten. Das Echo der Fachwelt war außerordentlich - auch wenn sich die heutige Historikergeneration an seinem konventionellen, personenorientierten Geschichtsbild reibt und damals moderne Ansätze wie den französischen bei Jedin vermisst.

Liebesverhältnis fliegt auf

Im selben Jahr 1949 beginnt der dritte und längste Abschnitt seines Lebens: Bonn. Mit 49 Jahren, 16 Jahre nach seinem Rauswurf durch die Nationalsozialisten, erhält Jedin hier die langersehnte Professur. Begünstigt, aber auch erschwert wird ihm der Neuanfang, da er in Rom keinesfalls bleiben kann: Ein Liebesverhältnis des Priesters mit einer deutschen Diplomatengattin ist aufgeflogen, zerbrochen und sorgt durchaus für vatikanisch-diplomatische Nachwehen.

Die akademische Lehre in Bonn bereitet Jedin spürbar Freude. Er gilt als meisterhafter Erzähler und geschickter Pädagoge. Weiterhin widmet er sich seiner Geschichte des Tridentinums. Damit hat er sich international einen Namen gemacht – auch wenn sein Spezialgebiet, eine 400 Jahre alte Kirchenversammlung, nicht mehr ganz "up to date" zu sein scheint.

Das Zweite Vatikanische Konzil im Petersdom.
Bild: ©KNA (Archivbild)

Beim Zweiten Vatikanischen Konzil war Hubert Jedin Berater des Kölner Kardinals Josef Frings.

Das ändert sich schlagartig, als Johannes XXIII. im Januar 1959 die Einberufung eines allgemeinen Konzils ankündigt – des Zweiten Vatikanums. Nun schlägt die Stunde des Konzilienforschers. In nur sechs Wochen verfasst er seine "Kleine Konziliengeschichte", die sich allein in Deutschland mehr als 100.000 Mal verkauft und sogar ins Japanische übersetzt wird; sogar damals ein unerhört kommerzieller Erfolg für ein theologisches Fachbuch.

Beim Konzil ist Jedin offizieller Berater ("Peritus") des einflussreichen Kölner Kardinals Josef Frings. Seine Forschungen haben den Konzilshistoriker gelehrt, dass die Bewährungsprobe für die Versammlung erst kommen würde, wenn das letzte Te Deum verklungen ist. In den folgenden Jahren des Umbruchs vollzieht Jedin einen Wandel vom theologischen "Progressisten" zum "Konservativen" – zumindest in den Augen derer, die er selbst beargwöhnt.

Er, der das Konzil so hoffnungsvoll begrüßt hatte, will nun nicht mit ansehen, wie die Beschlüsse links überholt und zum Anlass für viel weitergehende Veränderungen genommen werden. Da Jedin, so der Historiker Konrad Repgen, im Grunde kein kämpferischer, sondern "ein weicher Mensch war, der Prinzipientreue und Harmonie verbinden wollte", haben ihn die aktuellen innerkirchlichen Entwicklungen sehr belastet.

Standardwerk für Generationen

Doch trotz dieser Besorgnis schafft es Jedin, seine beiden 1970 und 1975 fertig gestellten Bände der "Geschichte des Konzils von Trient" von tagesaktuellen Parallelen frei zu halten. Das hat zwar zweifellos ihre Resonanz in einer politisierten Öffentlichkeit geschmälert. Für die Wissenschaft jedoch hat Jedin auf diese Weise den Wert seiner in mehr als 35 Jahren entstandenen Studie über den Tag hinaus gesichert.

Ein Jahr vor seinem Tod kann er 1979 auch sein zweites Vermächtnis abschließen: das in eineinhalb Jahrzehnten internationaler Kooperation unter seiner Federführung entstandene "Handbuch der Kirchengeschichte", schlicht "Jedin" genannt und Standardwerk für Theologengenerationen. Die zwischen 1957 und 1965 entstandene zweite Auflage des "Lexikons für Theologie und Kirche" enthält 76 von Jedin verfasste Artikel.

Nach mehr als 500 Veröffentlichungen stirbt der "Papst der Kirchenhistoriker", sechsfacher Ehrendoktor und siebenfaches Mitglied europäischer Akademien, am 16. Juli 1980 in seiner Bonner Wohnung – wenige Wochen nach seinem 80. Geburtstag.

Von Alexander Brüggemann (KNA)